Oder: Warum wird man als zehnjähriger Wolfsburger FC-Fan?

Von meinem Vater habe ich es nicht geerbt, das FC-Gen! Der ist zwar Zeit seines Lebens Sympathisant dieses Clubs mit dem Geißbock gewesen, aber mit ins Stadion hat er mich als Kind nie genommen. Bei den anderen Mitgliedern meiner Familie verhielt es sich ganz ähnlich. Bruder, Schwester, Onkel und Tanten hatten wenig FC im Blut. Selbst meine Freunde waren zumindest im Grundschulalter noch weit entfernt von einer innigen Beziehung zu diesem Fußballverein, der in meiner Wahrnehmung momentan weit über die Grenzen dieser verrückten Stadt hinaus beginnt, sich immer mehr Freunde zu machen. Aber irgendwo her muss sie doch kommen, diese unbeschreibliche Zuneigung, die man diesem Fußballverein entgegen jeglicher Logik erweist, selbst dann, wenn es einmal nicht so gut läuft. Wie wird also diese Liebe geboren und vor allem, ab wann wird man mit dem FC-Virus infiziert? Der Auslöser für mich, diesen Fragen nachzugehen waren zwei Ereignisse in den letzten Monaten:

In meiner Ballsportgruppe, in der Kinder im KiTa-Alter zwischen vier und sechs Jahren erste Versuche unternehmen, das Runde zumindest in die Richtung des richtigen Eckigen zu befördern, fiel mir ein Kind auf. Es nahm äußerst verschüchtert vor ungefähr zwei Monaten das erste Mal an unserem „Training“ teil. Ich werde jedoch nie vergessen, wie mein Sohn, selber Mitglied der Ballsportgruppe, auf mich zukam und mir ins Ohr flüsterte:

„Ihhh, Papa, guck mal, was der für ein Trikot anhat!“

Nun ist das mit dem Flüstern bei fünfjährigen Kindern so eine Sache und es passierte natürlich, was passieren musste. Der ohnehin schon eingeschüchterte Junge verließ weinend die Halle und trotz intensiver Bemühungen meinerseits konnte ich die völlig hysterische Mutter in der Umkleidekabine nicht davon überzeugen, dass ihr Sohn in Bezug auf motorische Frühförderung und aus pädagogischer Sicht bei mir in den besten Händen sei. Vielleicht lag der Misserfolg meiner Überzeugungsarbeit aber auch daran, dass ich – wie bei jedem Ballsporttraining – ein FC-Trikot trug und so höchstwahrscheinlich in den Augen der Mutter ein ideales Feindbild verkörperte. Nach einer kurzen Phase der Enttäuschung darüber, die Mutter nicht zum Verbleib ihres Sohnes bewegt haben zu können, gab ich den Erziehungsberechtigten des weinend abgezogenen Kindes zumindest eine Teilschuld an der (zugegeben wenig toleranten) Reaktion meines Sohnes. Warum schicken diese Rabeneltern ihr Kind auch mit einem Trikot von Bayer Leverkusen in eine Kölner Ballsportgruppe? Als Schalke-Fan stellt man sich ja auch nicht eine blau-weiße Fahne schwenkend in die Dortmunder Südkurve und singt das Steigerlied. Oder?

Zurück in der Halle fällt mir das erste Mal auf, dass sechs der Jungen mit einem FC-Trikot über das Feld flitzen. Es war mir die ganze Zeit nicht aufgefallen, da es für mich völlig normal ist, wenn Kinder solche Devotionalien zum Sport tragen. Aber ist es das wirklich? Habe ich durch das Tragen des Geißbock-Trikots einen solchen Einfluss auf die Kids oder sind es andere Einflüsse, die bereits in jungen Jahren dafür sorgen, dass Kinder sich für den einen, einzig wahren Fußballverein entscheiden, dem sie dann auf ewig treu bleiben?

Beim Heimspiel gegen Wolfsburg kam ich vor dem Spiel mit einem Vater und seinem Sohn ins Gespräch. Auf der Suche nach Antworten fielen mir die beiden an einer der Würstchenbuden auf, da der Vater mit einem Wolfsburg-Trikot ausgestattet war, der etwa zehnjährige Sohn jedoch ein schwarzes Auswärtstrikot des 1.FC Köln trug.

Ich fragte den Mann, ob er seinem Sohn das Trikot verpasst habe, um vor der Südkurve entspannt eine Wurst essen zu können, ohne dabei von gemütsfreundlichen FC-Fans angefeindet oder angepöbelt zu werden. Nicht der Vater, sondern der Sohn antwortete mit erstaunlicher Klarheit:

„Nein, das Trikot ist ein Geburtstagsgeschenk, das ich mir gewünscht habe!“

Ich kam ins Grübeln!

Vielleicht war der Vater VW-Mitarbeiter und wurde von seinem Arbeitgeber zu diesem Auswärtsspiel unter Androhung der Kündigung zwangsrekrutiert! Ähnliche Szenarien finden ja bekanntlich beim Chemieriesen aus dem Kölner Vorort rheinabwärts vor jedem Heimspiel des ansässigen Fußballvereins mit dem Erfolg statt, dass die Spiele statt 15.000 Zuschauern knappe zehntausend mehr besuchen, jedoch die Produktion kopfschmerzlindernder Medikamente kurzzeitig zum Erliegen kommt. In Düsseldorf war man da kreativer und hat kunterbunte Sitzschalen aufhängen lassen, sodass es nur bei genauerem Hinsehen auffällt, dass keiner im Stadion ist. Dafür machen die, die live im Station sind, soviel Lärm, wie die Leverkusener Stadionregie vom Band gar nicht aus ihren Sourroundsystemen pusten kann. Aber lassen wird das.

Der Vater und sein Sohn hätten auch gebürtige Kölner sein können und der Mann hatte einfach nur am Tresen eine Wette verloren und musste deshalb einer von 400 Wolfsburgern im Stadion sein! Dumm gelaufen!

All diese Eventualitäten veranlassten mich, genauer nachzufragen!

„Warum hast du dir ein Trikot vom 1.FC Köln zum Geburtstag gewünscht?“,

fragte ich den Kleinen. Die Antwort kam ebenso schnell wie überraschend!

„Der FC ist ein cooler Verein, im Stadion ist es immer laut und er hat einen Spieler, der aus über 30 Metern Freistöße ins Tor schießen kann – zweimal hintereinander!“

Völlig baff ob der klaren Argumentationslinie des Zehnjährigen begann ich, die ausgeführten Gründe für den Trikotwunsch mit dem Verein abzugleichen, für den offensichtlich das Herz des Vaters zu schlagen schien. „Cooler Verein, im Stadion immer laut, Marcel Risse…!

Ich begann den Kleinen zu verstehen und hätte mir an seiner Stelle auch zumindest ein anderes Trikot gewünscht, als das des VfL Wolfsburg. Nach längerem Überlegen fielen mir aber auch nicht allzu viele Vereine ein, die sowohl cool, deren Fans laut und die im Besitz solch begnadeter Spieler wie Marcel Risse sind. Und ich begann zu verstehen…

Mein Verein, der 1. FC Köln, wird wieder als der Verein wahrgenommen, der er schon eine gefühlte Ewigkeit wieder sein möchte. Er kann –  sogar über die Tore der einzig wahren Stadt Köln hinaus – wieder durch seiner Art, Fußball zu spielen, durch seine sachliche, unaufgeregte Art geführt zu werden und durch das Verhalten der meisten Fans punkten. Er wird wieder positiv wahrgenommen. Vorbei scheinen die Zeiten, als wir Fans bundesweit belächelt, ja sogar bemitleidet wurden, dass wir Anhänger dieses Vereins sind.
Ein gutes Gefühl!
Sowohl die Jungs meiner Ballsportgruppe (vielleicht mit Ausnahme des weiter oben Beschriebenen) als auch der zehnjährige Wolfsburger im FC Trikot haben sich diesen Start in ihre Fankarriere so was von verdient. Denn vor ein paar Jahren noch hätte man als Vater zumindest noch darüber nachdenken müssen, ob man seine Kinder rechtzeitig mit dem FC-Virus infiziert oder ob man ihnen den Kummer und Schmerz, den viele Jungen und Mädchen meiner Generation erleben mussten, erspart.

Blieb nur, diese These zu überprüfen. In meiner Jugend – ich kann dies hier berichten, da die Taten mittlerweile deutlich verjährt sind – sind wir manchmal über die Stadtgrenze in den Kölner Vorort geradelt, um dort – nach Einsetzen der Dunkelheit – Vereinswappen von Bayer Leverkusen auf Autos zu entfernen. Das war viel Arbeit, denn nicht nur in Leverkusen, sondern auch in meiner Heimatstadt gab es viele Sympathisanten der Werkself.

Ich ging also auf die Suche, aber es dauerte eine geschlagene halbe Stunde bis ich das erste Wappen des nicht sonderlich geschätzten Vereins entdeckte. Doch das Auto, auf dem ich es sah, stand an einer stark befahrenen Straße und schied somit als Versuchsobjekt aus. Während meiner Suche fielen mir aber etliche Fahrzeuge mit dem Nummernschild LEV-FC oder mit dem Geißbock auf dem Kofferraum auf.

Doch nach langer, erfolgloser Suche fand ich dann doch noch einen alten Volvo, auf dessen Stoßstange ein vergilbtes, teilweise in Fetzen hängendes Vereinslogo mit dem Bayerkreuz zu erahnen war. Ich stieg aus, vergewisserte mich, ob ich beobachtet würde, sortierte meine Finger und…

…stieg wieder in mein Auto und beschloss, das traurige Wappen als Mahnmahl bestehen zu lassen und es der finalen Verwitterung auszusetzen.

Bei einem der nächsten Heimspiele werde ich mit beiden Söhnen auf der Südtribüne sitzen und mich darüber freuen, dass meine Erziehung zumindest in dieser Hinsicht offensichtlich erfolgreich war und dass mich mein Verein momentan sehr dabei unterstützt!

Come on FC!